Von Hendrik Achenbach
Ich habe in meinem Leben schon an mehr Proben der SAP BIG BAND teilgenommen, als ich noch zählen kann, und trotzdem kann ich nicht behaupten, dass es sich um Routine handelt. Jede Probe ist anders und in gewisser Weise natürlich auch durch die Erwartungshaltung bestimmt, mit der man sich gegen 19.00 Uhr im Foyer des Walldorfer Schulungszentrums einfindet.
Leistungsdruck
Für mich war heute der entscheidende Aspekt, dass wir schon seit einiger Zeit keine Tuttiprobe mehr durchführen konnten, weil unser CMO Thomas S. mit seinem Trio auf Tournee war. Wir haben uns natürlich, so gut es ging, mit Satz- und Durchspielproben über Wasser gehalten, aber die musikalische Leitung fehlte trotzdem. Deswegen stellte sich die folgende Frage: Wie würden wir uns nach dieser bandleaderlosen Phase schlagen? Gleich beim ersten Stück mit fliegenden Fahnen untergehen? Oder den CMO mit einer überraschend soliden Leistung beeindrucken?
Politische Spiele
Natürlich gibt es aber immer auch zusätzliche Aspekte, die das Leben in einer Band bestimmen. Der heutige Tag markierte die Rückkehr unsres Präsidenten Ralf H., der sich ganz zu Recht für einige Tage zurückgezogen hatte, um am Meeresstrand Pläne zu schmieden. Schließlich darf man nicht außer Acht lassen, dass unser Pianist und Vizepräsident Frank W. in den letzten Monaten entscheidende Züge im politischen Schachspiel für sich entscheiden konnte, indem er notentechnische Nachlässigkeiten einiger Bandmitglieder durch Extra-Kopien ausbügelte. Letztendlich muss man diese Gefälligkeiten als verfrühte Wahlgeschenke werten und sich nicht wundern, dass schon bald Gerüchte von der letzten Amtszeit des Präsidenten die Runde machten. Es gelang Ralf aber, schon sehr bald nach seiner Rückkehr eine deutliche Duftmarke zu setzen, indem er eine Akquise-Offensive für zusätzliche Auftritte startete, die ihresgleichen sucht. Hier zeichnet sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen ab, über das wir natürlich weiterhin berichten werden.
Gar nicht so schlecht
Kehren wir zurück zur Musik, denn Politik ist nicht alles. Die Probe begann auf besonderen Wunsch von Anja R. mit Ya Gotta Try. Ich persönlich musste dabei leider gleich eine kleine Niederlage hinnehmen, denn so oft ich mir auch vornehme, Noten kurz zu spielen, die kurz gespielt werden wollen, so brauche ich doch immer einen Rüffel von der Seite („Kurz!“), bevor ich daran denke. Trotzdem lautete das Urteil des CMOs: „Not so bad. Das spielen wir auf jeden Fall beim nächsten Gig. Da gibt es kein Zurück mehr“.
Swing können wir
Folgerichtig ging es weiter mit „Basie – Straight Ahead“, und siehe da: Auch hier konnte Thomas sich zu einer positiven Bewertung durchringen. Wobei das eigentlich Unsinn ist. Er würde sich nie positiv äußern, wenn wir schlecht spielen und muss sich demnach auch zu nichts "durchringen". Was sicher auch gut so ist. In diesem Fall sagte er: „Auch nicht so schlecht. Das spielen wir auch beim nächsten Konzert. Die Swing-Kiste wird aufgerollt.“ Hier könnte man natürlich kritisch anmerken, dass seine Metapher nicht ganz schlüssig ist, weil man eine Kiste nicht aufrollen kann, aber der springende Punkt ist: Thomas spielt hier ganz offensichtlich auf das legendäre Radio-Interview an, in dem Ralf H. das Leben und Wesen der Band auf eine Formel brachte, die griffiger nicht sein könnte: „Swing können wir.“ Schon oft zitiert, hat diese Aussage noch nichts von ihrer Wirkungsmacht verloren, und indem Thomas daran erinnert, stärkt er den von vielen schon müde gewähnten Präsidenten natürlich ungemein.
Erste Konzentrationsschwierigkeiten
Durch zwei gut gespielte Stücke ermuntert, wagten wir uns an Three And One. Hier waren dann aber leider doch erste Konzentrationsschwierigkeiten zu verzeichnen, so dass wir an dieser Stelle darauf verzichten wollen, das Urteil des CMOs im Detail wiederzugeben. Nach einer weiteren, von unserem Superdrummer Oli B. querfinanzierten Nummer, über die wir erst beim nächsten Mal berichten wollen, weil sie sich nicht in wenigen Sätzen beschreiben lässt, begann der vergnüglichere Teil der Probe, bei dem es um die Gesangsnummern ging.
Wer ist Dusty Springfield?
Bei Slightly Out Of Tune (Desafinado) erntete Jochen R. ein Sonderlob für seinen Einsatz auf dem Sopran-Saxophon. Bei mir löst dieses Instrumtent immer wohlige Kindheitserinnerungen aus, weil mich der zarte Klang an die Rondo-Veneziano-Schallplatten erinnert, die bei uns zu Hause liefen. Deswegen kann ich mich dem Lob des CMOs nur anschließen. Schon beim nächsten Stück wurde es aber wieder politisch. Thomas S. plauderte aus, dass Frank W., der sich neben dem Vorstandsamt und dem Klavierspiel und der Grafik auch noch um die Noten kümmert, die Taktzahlen, die in der Partitur von The Look Of Love fehlten, handschriftlich ergänzt hat. Hier geraten wir natürlich in einen kritischen Bereich. Sind das noch zulässige politische Manöver? Oder sollte die Dienstaufsicht ein Auge auf die Situation werfen? Wir werden das an dieser Stelle nicht entscheiden können, sollten die weitere Entwicklung aber durch eine eng geführte Berichterstattung begleiten. Wobei ich durch solche Themen gar nicht davon ablenken will, dass ich heute Abend eine Bildungslücke schließen konnte. Im Gegensatz zu Thomas und vielen anderen, bei denen allein der Name „Dusty Springfield“ schmachtende Blicke in die Vergangenheit auslöst, wusste ich weder, dass diese Person mit der oben genannten Nummer (also The Look Of Love) assoziiert wird, noch, dass es sich um eine Frau handelt. Ich habe 42 Jahre lang gedacht, dass Dusty ein Mann ist. Wie schrecklich.
Im Auto und unter der Dusche
Dann war es aber so weit. Der Moment, auf den ich gewartet hatte, war da. Thomas ließ This Can’t Be Love auflegen. Wir spielten. Dagmar sang. Und Thomas kommentierte mit zufriedenem Kopfnicken: „Kurz und schmerzlos.“ Das war alles. Unglaublich. Weiß er nicht, dass ich dieses Stück so liebe, dass ich es mindestens einmal täglich singe? Wobei ich zugeben muss, dass er das eigentlich nicht wissen kann, weil ich vorzugsweise im Auto singe. Oder unter der Dusche. Aber nur, wenn ich alleine im Badezimmer bin. Das hat damit zu tun, dass ich als Sänger noch nicht entdeckt wurde und im häuslichen Bereich durchaus auch kritische Stimmen laut werden, wenn ich zu viel Vibrato auf die Stimme lege. Ich glaube, dass ich da auf dem richtigen Weg bin, aber letztendlich kann ich nur Potenzial zeigen. Andere müssen es erkennen.
Was gibt es zu essen?
Die Probe ging noch ein wenig weiter, aber zum guten Schluss fanden wir uns zur Nachbesprechung in einem Walldorfer Lokal ein. Hier überraschte uns die Aussage des Kellners, dass leider nur noch genug Teig für eine einzige Pizza vorhanden sei, was bei acht Gästen eher knapp kalkuliert erscheint. Für unsere grenzenlose Flexibiliät bekannt und geliebt, schalteten wir blitzschnell auf Ersatzgerichte um, mussten aber wenig später mit einem weiteren Rückschlag fertigwerden, weil von vier bestellen Putenbrustsalaten aufgrund von Materialknappheit nur drei angefertigt werden konnten. Das war keine einfache Situation. Irgendwann stand aber für jeden eine Speise und ein Getränk auf dem Tisch und wir waren guter Dinge. Das ging so weit, dass wir irgendwann beschlossen, zu Ehren unseres Konsuls Toni D. das Kärnterlied als angeshuffelten Uptempo-Swing für uns arrangieren zu lassen. Hier war es dann aber auch Zeit zu gehen, wie sich unschwer erkennen lässt.
Was fällt mir zu dieser wunderbaren Band noch ein? Heute wohl nicht mehr viel. Und so greife ich zurück auf die Worte des Dichters: This can’t be love, because I feel so well. No sobs. No sorrows. No sighs.